Mut zur Fantasie: „Das rote Ding“

Einem kleinen Mädchen fällt an einer Promenade ein rotes Ding auf, das im Wasser vorbeischwimmt. Es ist sich schnell sicher, dass das nur die Spitze einer Walflosse sein kann. Aber nein! Ein anderes Kind meint, dass es sich hier auf jeden Fall um die Spitze eines Huts handelt. Oder schwimmen da unter der Wasseroberfläche etwa doch eine Krone oder gar ein Feuerwehrauto im Wasser?

Die Buchseiten sind in zwei Teile geteilt. Auf der oberen Seite sieht man alle Personen, die fleißig rätseln, was das wohl für ein geheimnisvolles rotes Ding ist, das wir auf der unteren Bildseite sehen. Je nachdem, wessen Fantasievorstellung gerade im Wasser zu sehen ist, wird oben ein anderes klitzekleines Detail „beleuchtet“. Es macht riesigen Spaß, die jeweiligen kleinen roten Flächen auf den oberen Seiten zu suchen! 

Heike Herolds Illustrationen sind so zart, schön und aussagekräftig, dass ich manchmal vergessen habe, auch den Text zu lesen. Einige Male habe ich zurückgeblättert. Geht es also rein um das Inhaltliche, dann reichen die Bilder für mich persönlich schon aus. Man hat schon fast Angst, etwas zu verpassen, so schnell „rollt“ die obere Bildhälfte an uns vorbei.

Das soll wiederum den Text keineswegs abwerten. Die Kleinen werden nämlich beim Vorlesen mit Sicherheit Spaß daran haben, die Lücken am Ende der Reime zu füllen. Sie sehen schließlich schon, was sich unter der Wasseroberfläche befindet und können prompt das fehlende Wort rufen.

Das Buch ist nicht nur für Kinder ein Spaß, sondern enthält auch einige Details für Erwachsene. Auf mehreren Bildern sitzt beispielsweise ein heruntergekommener Mann mit leerem Gesichtsausdruck vor einer Statue mit der Inschrift „ignoramus er ignorabimus“, was so viel heißt wie „wir wissen es nicht und werden es auch nie wissen“. Davon sollte sich niemand entmutigen lassen! Vielen Erwachsenen ist im Gegensatz zu den Kindern im Alltag die Fantasie abhanden gekommen und viel zu oft haben sie auch keinerlei Ambitionen, an diesem traurigen Zustand etwas zu ändern. Einfach mal wieder Kind sein – das schützt vor Resignation.

Am Ende löst sich das zauberhafte rote Ding im Wasser auf. Vorbei ist es mit der Fantasie aber noch lange nicht. Das Buch schließt nämlich mit dem verheißungsvollen Satz: „Ist auch das rote Ding verschwunden, glaub mir, das Nächste wartet schon.“ Und so ist es, seid gespannt! Ein Hoch auf die Fantasie!

Und jetzt: (Vor-)Lesen, mitfantasieren und überraschen lassen! 

Für dieses Buch hat Heike Herold 2016 das 8. Troisdorfer Bilderbuchstipendium erhalten.

(Werbung, unbeauftragt, Rezensionsexemplar erhalten)

Heike Herold und Ebi Naumann Das rote Ding ab 4 Jahren, Aladin, erschienen am 15. August 2019, 978-3848901586